Alter Kitsch und neuer Kitsch – Interview mit Axel Betrtram

Anlässlich des Todes des DDR-Gebrauchsgrafikers Axel Bertram veröffentlichen wir hier ein Interview, das wir mit ihm Jahr 2003 im Rahmen der Recherchen zum Buch „Von der Partei zur Party“ geführt haben.

 

Sie haben, indem Sie den Fernsehturm in das Berliner B integrierten, ein Symbol der Weltfestspiele 1973 entworfen. Erzählen Sie uns etwas über Ihre Arbeit damals.

Nach zwölf Jahren selbständiger Tätigkeit bin ich 1972 als Gebrauchsgrafiker an die Kunsthochschule in Weißensee berufen worden und arbeitete bereits im Frühjahr dieses Jahres an einer Aufgabe mit, die sich die Hochschule auf die Fahne geschrieben hatte. Unter Leitung des Rektors, des Malers Prof. Walter Womacka, wurde ein Künstlerisches Leitungskollektiv berufen, das sich mit dem bildkünstlerischen Teil der Öffentlichkeitsarbeit für die X. Weltfestspiele beschäftigen sollte. Ich war dabei für das grafische Erscheinungsbild verantwortlich. Meine Entwurfsarbeit begann mit der Überarbeitung der Festspiel- Blume. Der Blume war der Schriftzug einprägsam zuzuordnen, der die Klarheit der Kreisformen aufnehmen sollte – dazu war die Futura ideal geeignet. Dabei ergaben sich zwei Initialen als Verkettungselemente, einmal die farbige Verschränkung des W mit der X, zum andern das B von Berlin mit der Silhouette des Fernsehturms. Das Team bestand übriges aus Malern, Bildhauern, Modegestaltern, Grafikern und Architekten. Die Hochschule war bei ihrer Gründung 1947 nach dem Bauhaus konzipiert worden und hatte sich einiges von diesem Geist durch die fatale Zeit der Formalismusdebatten hindurch bewahren können: also Teamarbeit und interdisziplinäre Zusammenarbeit konnten an einer solchen Aufgabe sich beweisen. Walter Womacka, der als angesehener Maler über gute Beziehungen verfügte, hielt uns bei unserer Arbeit den Rücken frei.
Für mich bot sich in diesem Zusammenhang die Chance, ein prägnantes Zeichen für Berlin zu entwerfen. Ich hatte gehofft, dass es über diesen Rahmen hinaus Verwendung finden könnte, aber daran war bei war bei den Entscheidungsstrukturen in der DDR nicht zu denken. Da hat sich niemand dafür interessiert. Ich habe das Symbol dann noch auf der Icograda in Zürich vorgestellt. Dass dieses Programm überhaupt für die Weltfestspiele genommen wurde, war auch nur dadurch möglich, weil wir bis zum letzten Moment taktisch gezögert hatten, es vorzulegen. Es war keine Zeit mehr da, etwas anderes zu entwickeln. Das Sekretariat des Zentralrats der FDJ bestand aus Berufsjugendlichen von unsicherem Geschmack, behaftet wie all diese Gremien mit der Entscheidungs- schwäche des Mittelmaßes. Ein echter Kontakt zur Jugend dürfte eher bescheiden gewesen sein.
Es gab ein gestalterisches Leitprogramm für die Ausgestaltung der Weltfestspiele mit Beispielen und Anregungen, wie mit den fünf farbigen Streifen, die nur als Bündel in festgelegter Reihenfolge verwendet werden durften, spielerisch umgegangen werden könnte. Das Zeichen B mit dem Fernsehturm wurde dabei wenig verwendet, beide Verkettungselemente, das eigentliche Originelle, waren viel zu selten zu sehen. Man war eben an den eigenständigeren Teilen, die über die obligatorische Blume hinausgingen, nicht interessiert. Da war denn eben auf einmal keine Druckkapazität da. Das Bild der Weltfestspiele war sehr bunt und heiter. Die Farben wurden in Metern hergestellt, in Streifen und Blumenform. Das hat der Stadt ein ganz unglaubliches Bild verschafft. Walter Ulbricht starb in diesen Tagen, aber kein Fleckchen Schwarz trübte das fröhliche Stadtbild.

Warum haben Sie den Fernsehturm gewählt, und was verbinden Sie mit ihm?

Ich könnte sagen, wenn man sich ein großes B anschaut, da fügt sich dieser Turm ganz von selbst ein. Ich hatte ihn ja von meinem Atelierfenster aus damals buchstäblich vor der Nase. Tatsächlich war der Fernsehturm in seiner prägnanten Form das einzig mögliche Symbol für den Osten Berlins. Das Brandenburger Tor galt bis 1961 als Symbol der geteilten, aber noch immer offenen Stadt. Ich arbeitete noch im Sommer 1961 an einer umfangreichen Berlin-Ausstellung mit, die sich mit großem propagandistischem Aufwand aus der Sicht der DDR mit der Geschichte Berlins beschäftigte. Sie stand ganz im Zeichen des Brandenburger Tors und war damit von einem Tag, dem 13. August, auf den anderen erledigt. Das Brandenburger Tor wurde sogleich das Zeichen Westberlins mit der Forderung “Macht das Tor auf!“ Der Westen benutzte als offizielles Berlin-Layout den Berliner Bären in einer genau definierten Form. Der Osten verfügte über kein prägnantes Erscheinungsbild, benutzte aber allenthalben den Bären, allerdings unentschlossen. Dabei war die Berlin-Werbung sehr intensiv in der DDR. Man hätte wohl gerne jeden DDR-Bürger verpflichtet, einmal im Jahr nach Berlin zu kommen.
Der Berliner Fernsehturm hat einen großen Reiz. Er prägt das Stadtbild. Fast in jeder Straßenachse ist er drin. Ob in Charlottenburg oder im Wedding oder in Schöneweide, wo man auch um eine Straßenecke geht, plötzlich hat man den Turm wieder vor sich. Interessant ist, dass er bis heute nicht als offizielles Symbol vorkommt. Die Trennung zwischen Ost und West ist ja heute keine zwingende mehr, aber jeder bleibt in seinem Kiez. Das ist typisch für Berlin. Besonders die West- Berliner gehen nicht in den Osten. Nur die West-Deutschen sind jetzt in Mitte fest verwurzelt und haben das Klima dieser Straßen verändert. Dennoch glaube ich, dass es lange dauern wird, bis der Fernsehturm auch von den alten West-Berlinern als ein Zeichen für Berlin angenommen wird. Zur Zeit würden sie das wohl immer noch als eine Zumutung betrachten.
In den letzten Jahren ist aber auch ein bestimmter Stimmungs- umschwung in der Aufarbeitung der DDR eingetreten. Das Selbst- bewusstsein im Osten hat sich wieder etwas gefestigt. Das hat weniger mit Nostalgie zu tun, sondern mit der Erfahrung des gelebten Lebens und eines Alltags, dessen Härte mancher sich nicht hat träumen lassen.
Was fällt Ihnen auf, wenn Sie die früheren mit den heutigen Grafiken in diesem Buch vergleichen?
Im Grunde genommen: Das eine ist der alte Kitsch und das andere ist der neue Kitsch. Viel besser ist es nicht geworden, vielleicht ein bisschen aufgeräumter, was das formale Niveau betrifft. Die alten Beispiele haben ja fast schon wieder teilweise was Liebes. Es ist von einer gewissen amateurhaften oder halbprofessionellen Naivität geprägt. Als wir frisch von der Hochschule kamen, haben wir uns über derlei entsetzlich aufgeregt. Der Computer hat ja gestalterische Professionalität ausgehebelt. Heute führt der Computer in der Hand von Amateuren zu Lösungen, die sich ähneln. Ich rede da ungern von Demokratisierung, die angeblich dadurch eingetreten sei. Man beherrscht die Technik halbwegs und wird verführt, etwas zu tun, wozu man eigentlich gestalterisch gar nicht in der Lage ist. Auch die Auftraggeber werden immer schlechter, da sie selten höhere Ansprüche haben als eben das Amateur-Design. Der geschulte Blick geht verloren. Es besticht das Chaos, jede gestalterische Unordnung, wenn sie nur sauber angeboten wird. Das Verrückte am Computer ist, man kann machen was man will, es sieht irgendwie sauber aus – eine Scheinordnung.

Wie haben Sie denn vor dem Computerzeitalter gearbeitet?

Wir waren und blieben, was die Technik des grafischen Gewerbes angeht, rückständig. Wir verfügten bis zuletzt weder über Kopierer noch über Fotosatzgeräte. Die Mehrzahl der Grafiker hat, wenn sie auf ihren Buchumschlägen und Plakaten eine elegante Typographie haben wollte, Schriften geklebt, also Buchstabe für Buchstabe aneinander montiert, eine idiotische und würdelose Beschäftigung. Die etwas genialeren Grafiker haben ihre Texte frei mit dem Pinsel geschrieben, wie es ja auch gelegentlich international Brauch war. Ich bin auch einer der Wenigen und Letzten gewesen, die typografische Schriftzeilen noch gezeichnet haben. Ende der 80er Jahre gab es in einigen Redaktionen Diatype-Geräte, die ganz passable Schriftzeilen lieferten. Ich bin hin und wieder zu meinem Leibblatt, der “Wochenpost“ spaziert, für das ich 20 Jahre gearbeitet habe, und erhielt freundlicher- weise meine Zeilen in gewünschter Größe. Das war schon ein Fortschritt, wenn auch ein sehr später.

Wenn Sie Ihren Werdegang betrachten: War es kompliziert, den künstlerischen Anspruch gegenüber ideologischen Gesichtspunkten durchzusetzen?

Wenn Sie die Hochschule meinen, da werden vermutlich die Studenten etwas anders denken als ich. Der Studienablauf als Ganzes wurde immer restriktiver, vor allem auch militanter, da spiegelte sich die DDR-Gesellschaft ab. Deswegen explodierte das ja 1989 förmlich, und die Studenten kehrten die Attitüde des Jakobinertums heraus. In der Lehre gab es diese Entgegensetzung nach meinen Begriffen nicht. Wir sind politischen Themen nicht ausgewichen, sondern versuchten den Sinn des “Politischen“ mit Leben zu erfüllen, unter entschiedener Vermeidung der Phrase. Unsere Versuche fanden keine öffentliche Anerkennung, außer in Fachzeitschriften. Jede Gesellschaft braucht diese Versuche, auch unsere heutige. Man muss sich nur einmal deutsche Wahlplakate ansehen und ihre Phrasen, dann weiß man , wie hoch der Begriff des Politischen tatsächlich geachtet wird. Wenn Sie meine gebrauchsgrafische Praxis meinen, so habe ich direkte ideologische Einflussnahme sehr selten erlebt. In meinem Metier nahm sie einfach eine andere Form an, einmal als Vorherrschaft eines vermufften, spießigen Geschmacks, der außerordentlich autoritär daherkam, und zweitens als Entscheidungsschwäche, als ein endloses ängstliches Lavieren und Taktieren, um ja keinen Anstoß zu erregen. Da ist mir das Fernsehen der DDR in besonders unangenehmer Erinnerung. Hier gab es den berüchtigten „einen Zuschauer“, auf den alles ankam, und dabei wurde zum großen Teil mit dem Rücken zum Rest des Publikums gearbeitet.

Wie sah Ihr Verhältnis als freier Grafiker zur DEWAG aus?

Das ist ein sehr verwickeltes Problem. Vereinfacht könnte ich sagen, wir waren natürliche Feinde. Die DEWAG war die größte Werbe- organisation der Welt, rein zahlenmäßig, aber letztlich war sie entscheidend verantwortlich für dieses provinzielle visuelle Ersch- einungsbild der DDR, über das man sich heute noch lustig macht. Diese Institution hat manche gestalterischen Bemühungen der Sektion Gebrauchsgraphik im Verband Bildender Künstler regelrecht hinter- trieben. Sie spielten sich als Parteiapparat auf und behandelten uns wie „vaterlandslose Gesellen“. Natürlich gab es Gesten von der Zentralen Leitung der DEWAG, Qualitätswettbewerbe mit gemeinsamen Juroren. Das war alles Oberfläche über dem Grundkonflikt, der in den Strukturen lag und in der konkurrenzlosen Macht dieses schwerfälligen Riesenapparats. Dennoch habe ich auch da Menschen von großem Verantwortungsbewusstsein kennengelernt.
Ich habe in ein paar sehr lehrreichen Versuchen in den frühen Jahren 1960/61, Verpackungen zu gestalten, genug schlechte Erfahrungen gesammelt, um mich nie wieder mit Wirtschaftswerbung zu beschäftigen. In dieser Branche spielten die in Gestaltungsfragen ausgesprochen flach ausgebildeten sogenannten “Werbeökonomen“, wie sie auf Fachschulen ausgebildet wurden, eine schlimme Rolle. Sie traten uns in Gestalt des Werbeleiter in Wirtschaftsbetrieben als Auftraggeber gegenüber und belehrten professionelle Gestalter über Gestaltung. Dies stand in denkbar schärfstem Gegensatz zu den Künstlerischen Leitern in den Verlagen, die weitgehend kompetente Kollegen waren.
Wir haben uns im Verband Bildender Künstler nicht damit abfinden wollen, haben großartige Thesen aufgefahren und immer wieder versucht, die Bedingungen für die Grafiker zu verbessern und Auftraggeber zu motivieren, bessere Entwürfe anzunehmen. Aber die gesellschaftliche Praxis war resistent gegen alle Verbesserungsversuche, man weiß es zur Genüge. Die DEWAG hatte entscheidenden Anteil daran.

Was hat sich an Ihrer Arbeit geändert seit der Wiedervereinigung?

Das ist sehr differenziert zu sehen. Zunächst brachen alle bewährten Auftraggeber weg, einer nach dem anderen, es gab sie einfach nicht mehr. Es war eine Zeit erheblicher Verstörung, die ich in meinem Atelier in großen kalligrafischen Blättern abzuarbeiten suchte. Ich hatte großes Glück, ich fand offene Augen und Ohren in einem westdeutschen Verlag. Sehr schnell sehr viel Neues war zu lernen, und das hat mir wiederum großen Spaß gemacht, zumal ich auch viel Loyalität und sogar Freundschaft erfuhr. Es sind eigentlich diese neuartigen Herausforderungen gestalterischer Art, die ich als großen erfrischenden Gewinn betrachte. Andererseits muss ich sagen, dass ich die aktuellen Anforderungen an das Grafik-Design von heute mit Skepsis betrachte. Ich habe in dem angesprochenen Verlag den Verfall der gestalterischen Moralität über acht oder neun Jahre beobachten dürfen. Vor zehn Jahren war noch eine Verständigung möglich, jetzt ist sie undenkbar geworden. In der DDR hat der Grafiker Umschläge gestaltet für Leser, für Menschen, die auch Bilder zu lesen verstehen und vom Umschlag erwartet, dass er eine richtige Auskunft über das Buch anbietet. Jetzt muss er mit dem Umschlag Käufer um jeden Preis zum Kauf zu verführen, womit auch immer, mit Ausschnitten aus alten Gemälden, mit geistlosen Klischees und falschen Bildern. Erfreulicherweise gibt es immer noch Institutionen, die sich dem wenigstens zeitweilig widersetzen, und Verlage, die anders denken. Wunderbar empfand ich die Entdeckung des Computers und das Ausprobieren seiner gestalterischen Möglichkeiten. Ich habe neue Schriften entworfen wie in einem Rausch, natürlich auf den Grundlagen eines großen Vorrats aus vier Jahrzehnten Schreiben und Zeichnen.

Haben Sie auf Grund Ihres Renommees neue Auftraggeber gefunden?

Zunächst eindeutig nein. Wer als neuer Auftraggeber in Betracht gekommen wäre, kannte die hier geleistete Arbeit nicht, wie er meist die DDR nicht kannte. Die neue Elite brachte ihre eigenen Leute mit. Fachleute aus dem Osten saßen kaum noch in den Leitungsebenen. Man musste sich völlig neu beweisen. Die ostdeutschen Grafiker wurden, ehe sie sich versahen, harte Konkurrenten; ein neues Gefühl, nicht sehr glücklich. Mache konnten damit umgehen, andere nicht. Dann allerdings hatte ich nach etwa sechs Jahren wiederum Glück, da mich ein alter Bekannter in Berlin anlässlich einer Ausstellung zur Zusammenarbeit einlud und ich auf diese Weise Kontakt zur Staatsbibliothek zu Berlin bekam und dort vier Jahre eine sehr intensive Arbeit leisten konnte.
Neuerdings habe ich dann doch wieder alte erfahrene Verlagsexperten aus früheren Jahren gefunden, die mich kannten und mir großes Vertrauen schenkten, so dass ich heute wieder, wie schon einmal vor zwanzig Jahren, Bücher völlig nach meiner eigenen Idee gestalten, illustrieren und auch schreiben kann.